Unter
dem Begriff der exekutiven Funktionen sind in der Neuropsychologie
mentale Prozesse zusammengefasst, die es einer Person erlauben, ihr
Handeln zielgerichtet zu planen und zu koordinieren. Dazu zählen vor
allem folgende Fähigkeiten:
- Handlungen vorausschauend planen und umsetzen
- Teilschritte sinnvoll aufeinander abstimmen
- Teilschritte und deren Konsequenzen gedanklich vorwegnehmen
- Handlung in Gang setzen
- Handlungen an veränderte Umstände (flexibel) anpassen
- Zeitmanagement und Prioritätensetzung
- drängende, aber störende Impulse unterdrücken können
Am
Beispiel eines Wochen-Familien-Einkaufs in einem
Lebensmittel-Supermarkt kann man anschaulich konkretisieren, welche
Aufgaben mit exekutiven Funktionen bewältigt werden und welche
Probleme dabei entstehen können.
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Viele
autistische Menschen leiden unter beeinträchtigten
Exekutivfunktionen. Dabei erweisen sich besonders folgende Aspekte
als problematisch:
- Erschwerte Handlungsplanung
- Probleme mit der Vielschrittigkeit von Aktivitäten (Anfang, Abfolge, Ende)
- Handlungsblockaden
- begrenztes Arbeitsgedächtnis
- Schwierigkeit mit dem Konzept von Zeit
- Schwierigkeiten bei Situationsübergängen
- (sehr) begrenzte Flexibilität bei Störungen oder Abweichungen vom Erwarteten
- Ablenkbarkeit von äußeren Reizen, Gestörte Impulskontrolle
Als
Bewältigungsstrategie dienen häufig gewohnte Routinen bei
wiederkehrenden Aufgaben und Situationen oder Beibehaltung von stark
individuellen Lösungsstrategien mit Resistenz gegenüber
Abweichungen und flexiblem Handeln.
5.2.1
Handlungsplanung
Erschwerte Handlungsplanung
Gunilla
Gerland: Ein richtiger Mensch sein, Verlag Freies Geistesleben:
(…) zum Beispiel als meine Mutter und Kerstin mir beibringen
wollten, unsere Waschmaschine zu bedienen. Sie erklärten, und ich
sah zu. Sie erklärten es immer wieder. Aber als ich es anschließend
selbst versuchen sollte, konnte ich es nicht. Die Knöpfe auf der
Maschine sahen alle gleich aus, und ich konnte mir ihre Funktionen
nicht merken. Meine Mutter und Kerstin waren der Ansicht, sie hätten
es mir jetzt so oft gesagt, weil öfter als ich es nötig hätte.
Viel öfter als überhaupt jemand es nötig haben könnte. Und weil
sie die Wahrheit gepachtet hatten, entschieden sie, nur meine
Faulheit sei schuld daran, dass ich keine Lust habe, den Umgang mit
der Waschmaschine zu lernen, ich wolle mich natürlich nur von
anderen bedienen lassen. (S.159)
Nicole
Schuster: Ein guter
Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag:
(....) Das Planen ist für mich allerdings keine einfache Sache. Die
Gedanken um den Ablauf eines einfachen Treffens kreiseln Stunden über
Stunden in meinem Kopf. Manchmal sind mir die naheliegensten Lösungen
fern. Oder ich verliere mich in Kleinigkeiten und übersehe andere
Aspekte. So suchte ich zum Beispiel beflissentlich den günstigsten
Flug raus, als ich eine Autismus-Konferenz in Cambridge besuchen
wollte, und überlegte erst danach, ob ich überhaupt den richtigen
Zielflughafen gewählt hatte. (S.255)
5.2.2
Arbeitsgedächtnis
5.2.3
Flexibilität
Stress beim Abweichen vom Erwarteten
Dr.
Christine Preißmann: Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit
Asperger Syndrom, Kohlhammer Verlag:
(....) Auch mir gelingt es natürlich nicht immer,
meinen Tagesablauf exakt vorherzuplanen, und dies stellt mich und die
Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer wieder auf eine harte
Probe. Wenn ich mich beispielsweise für ein bestimmtes Brötchen zum
Mittag entscheide und die Bäckerei, die ich ansteuere, diese Sorte
gerade nicht vorrätig hat, dann kann es durchaus passieren, dass ich
anfange, die Verkäuferin deshalb zu beschimpfen. Das tut mir
hinterher wahnsinnig leid, ich schäme mich dafür und gebe mir große
Mühe, mich besser unter Kontrolle zu haben.
5.2.4
Handlungsblockaden
Sich nicht entscheiden
können
Dr.
Christine Preißmann: ..und dass jeden Tag Weihnachten wär. Weidler
Buchverlag: (...) Es gibt kaum etwas, das ähnlich
schlimm ist wie Schuhe kaufen zu müssen. Gemeinsam mit meiner
Mutter, die mir zum Glück beim Aussuchen hilft, finde ich nach
einiger Zeit des Suchens meist irgendeinen Schuh, der mir gefällt.
Wenn ich ihn dann anprobiere, passt er oft nicht so besonders gut,
oder aber er ist in meiner Schuhgröße nicht mehr vorhanden. Dann
beginnt der Albtraum. Die Verkäuferin bringt Unmengen anderer Schuhe
herbei, die so ähnlich sein sollen wie der, den ich mir ausgesucht
hatte. Aber meistens gefallen sie mir alle nicht, oder sie passen
nicht. Die Verkäuferin versucht dann natürlich jeweils, mir irgend
ein Paar schmackhaft zu machen und erklärt, diese Schuhe sähen an
mir ganz besonders gut aus. Aber die Worte erreichen mich nicht, und
ich weiß ja auch, dass sie sowieso meist nicht ernst gemeint sind.
Irgendwann sitze ich inmitten all dieser Schuhe und kann nicht mehr,
will nur noch weg.. Es ist jedes Mal dasselbe. Ich kann nicht
verstehen, dass andere Frauen gern Schuhe kaufen gehen. (S.82)
5.2.4
Impulskontrolle
5.2.5
Zeitgefühl
Probleme mit
ungenauen Zeitangaben
Susanne
Schäfer: Sterne, Äpfel und rundes Glas, Verlag Freies Geistesleben:
(...) Nun hatte sich auch noch der Klempner angesagt, denn der
Wasserhahn in meiner Dusche war undicht geworden und sollte repariert
werden. Dazu hätte er natürlich durch mein Zimmer gemusst. Was,
wenn er so früh käme, dass er noch während meiner empfindlichsten
Stunden des Tages durch mein Zimmer ginge?! Ich fragte verzweifelt
die Mutter, immer und immer wieder, an welchem Tag und zu welcher
Stunde der Klempner kommen würde, bekam aber nur zur Antwort: „an
irgendeinem Vormittag im Laufe der nächsten Woche.“ Ich hasse
unpräzise Zeitangaben. Es ist sowieso schon schwierig genug, sich
Zeiträume vorzustellen! Es war furchtbar, jeden Tag mit dem Gedanken
zu beginnen: Vielleicht kommt heute der Klempner, vielleicht nicht –
und dann geht es morgen wieder so los!“ Ich hasse das Wort
„vielleicht“! S.93
Zeitmanagement
Sabine
Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen:
Greifbare
Zeit
Seit gestern hängt ein
gelbes Zentimetermaß an der Wand im Flur neben meinem Wochenplan.
Zurechtgeschnitten auf
die verbleibenden Tage bis zum Ende der Nähelosigkeit.
Sichtbar gemachte,
messbare Zeit.
46 Zentimeter lang.
Ein Zentimeter für jeden
Tag.
Ein Zentimeter, der am
jedem Morgen abgeschnitten wird.
Jeder Zentimeter mit
einer Zahl versehen, welche die Anzahl der Tage anzeigt, die ich noch
warten muss und die jeden Tag kleiner wird.
Ein visuelles
Rückwärtszählen.
Dieses schmale, gelbe Band macht das
Warten (be)greifbar.
Ich kann die Zeit mit einem einzigen
Blick erfassen.
Und ich kann sie anfassen, einfach mit
den Fingern berühren.
In der Hand fühlt sie sich viel kürzer
an als in meiner Vorstellung.
Sie ist endlich geworden.
Jedes Mal, wenn ich vom Wohnzimmer aus
in die Küche gehe, bleibe ich einen Moment im Flur stehen und lasse
das Ende des Zentimetermaßes durch meine Finger gleiten.
Immer und immer wieder.
Ich mag dieses Gefühl, Zeit
(be)greifen zu können.
Das konkrete Wahrnehmen-Können macht
mir das Warten erträglicher.
Jetzt habe ich etwas, woran ich mich
festhalten kann.
Etwas, das mir Sicherheit gibt.
Etwas, das die Zeit des Wartens
eingrenzt.
Und die Zeit der Nähelosigkeit, die so
schwer auszuhalten ist.